Der folgende Gastbeitrag ist von meinem Kumpel Raphael Knipping. Vergangenes Jahr war er im Hambacher Forst, um zu fotografieren. Die beeindruckenden Fotos, die dort entstanden sind, haben ihm dazu verholfen am Studiengang “Fotojournalismus und Dokumentarfotografie” in Hannover angenommen zu werden. Er hatte mir damals vor der Aufnahmeprüfung seine Fotos gezeigt und als ich ihn kürzlich gefragt habe, ob er Lust hätte einige auf meinem Blog zu zeigen und einen Beitrag dazu zu schreiben, war er sofort dabei!
Raphael Knipping:
Die Räumung im Hambacher Forst ist seit zwei Wochen im Gange. Im Mai 2017 bin ich selbst in den Wald bei Köln gefahren und fotografierte dort für die Aufnahmeprüfung meines jetzigen Studiums „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“. Das Thema lautete: „Zukunft“
Nichts ist so bedrohend für die Zukunft der Menschheit wie der Klimawandel. Und nirgends wird der Konflikt zwischen Klimaschutz und dem Festhalten an fossilen Energieträgern so offen ausgetragen wie bei der Besetzung des Hambacher Forsts im Rheinischen Braunkohle Revier. Nirgendwo sonst prallen so unterschiedliche Konzepte von politischer und gesellschaftlicher Zukunft aufeinander wie beim Protest der Klimaaktivisten gegen die RWE AG. Doch was passiert dort eigentlich und geht es wirklich nur um die Rettung eines Stück Walds?
200 Hektar sind von den ehemals 4100 Hektar Wald noch übrig, denn die Braunkohle, die die Rheinbraun AG bzw. die RWE AG seit 1978 aus dem gigantischen Loch neben dem Wald aus der Erde baggert, liegt auch unter dem etwa 12.000 Jahre alten Wald. Diese Braunkohle – der fossile Energieträger mit dem größten Ausstoß an CO2 pro Kilowattstunde – wird in Deutschland vor allem zur Stromerzeugung genutzt. Und da die Kohle meist im Tagebau, das heißt in einem Loch unter freiem Himmel abgebaut wird, sind die Eingriffe in die Natur oft schwerwiegend. Allein der Flächenverbrauch für Tagebau in Deutschland beträgt etwa 2300km² und entspricht damit nahezu der Fläche des Saarlandes. Mehr als 300 Siedlungen und ca. 100.000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen und wurden umgesiedelt. Allein in der Umgebung des Tagebau Hambach musste als Folge des Braunkohleabbaus die Autobahn A4 und die Hambachbahn, über die der Transport der Braunkohle zu den Kraftwerken geschieht um rund drei Kilometer nach Süden verlegt werden. Während die Ortschaften Lich-Steinstraß, Etzweiler, Tanneck und Gesolei bereits umgesiedelt wurden, ist die Umsiedlung der Orte Morschenich und Manheim noch im Gange.
Außerdem muss in und um das Loch eines Tagebaus ständig das Grundwasser abgepumpt werden, da das Loch sonst voll laufen würde. In einem Ring um den Tagebau stehen dutzende Pumpen, die den Grundwasserspiegel absenken. Dadurch werden Ökosysteme anfälliger für Trockenheit, tiefwurzelnde Bäume können das Grundwasser nicht mehr erreichen und es kann in einem großen Umkreis zu Bergbauschäden durch Bodenabsenkungen kommen.
Die Braunkohle, die im Tagebau Hambach unter anderem mit dem größten Landfahrzeug der Welt, dem Bagger 288, gefördert wird, wird mit einer eigenen Grubenbahn, der Hambachbahn in die umliegenden Kraftwerke Niederaußem, Neurath, Frimmersorf und Goldenberg bei Hürth-Knapsack transportiert.
Allein das Kraftwerk Neurath verursacht mit einem Austoß von 30 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr die zweithöchsten Treibhausgasemissionen aller europäischen Kraftwerke. Niederaußem ist mit einen CO2-Austoß von 27 Mio. Tonnen auf dem dritten Platz in Europa. Etwa 13 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands entweichen den Kraftwerken im Rheinischen Revier.
Im Jahr 2012 besetzen erstmals Aktivisten der Anti-Kohlekraft Bewegung den Hambacher Forst. Sie protestieren dabei gegen die Abholzung und für den Kohleausstieg. Über die Jahre intensiviert sich der Protest und die Klimaaktivisten bauen Baumhäuser, Barrikaden und das „Wiesen-Camp“. Auf einer Wiese neben dem Wald stehen mehrere Wohnwägen, Lehm- und Holzhütten und dienen als private Rückzugsräume. Außerdem gibt es einen Versammlungsraum, eine große Küche, ein Museum, eine Bibliothek und ein Badehaus. Um die Rodung und vorherige Räumung des Waldes so schwierig wie möglich zu machen, errichten die Besetzer bis heute über 60 Baumhäuser von denen die meisten das ganze Jahr über bewohnt sind. Einige Häuser wurden dafür mit Fenstern, kleinen Küchen, Toiletten, Solarstrom und WLAN ausgestattet. Für den Winter gibt es Öfen und Wärmedämmung. Alle Baumhäuser sind mit Traversen verbunden und können so auch ohne Bodenkontakt besucht werden.
Dabei geht es den Aktivisten um viel mehr als den Kohleausstieg und die Rettung des Waldes. Der „Hambi“ ist zum Experiment einer alternativen Gesellschaft und einem Symbol des Antikapitalismus geworden. So schreiben die Aktivisten auf ihrer Webseite:
„Jede*r Mensch hier spricht nur für sich selbst. Wir sind kein Verein oder eine Organisation, sondern ein Zusammenschluss von freien Menschen.
Für uns ist klar, dass Umweltzerstörung und Herrschaft zusammenhängt. Nur in einem System, in dem einige die Macht haben, die negativen Folgen ihres Handelns auf andere abzuwälzen und den Profit für sich zu behalten, ist es für den Menschen sinnvoll, die Erde auszubeuten – weil sie*er so nicht unter den Konsequenzen leiden muss. Hätten die Menschen, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden oder die Menschen im globalen Süden, deren Heimat durch den Klimawandel überflutet oder unbewohnbar werden, ihre Zustimmung zum Braunkohleabbau geben müssen, so wäre er nie passiert. Nur weil einige ihre Profitinteressen mit Gewalt durchsetzen können, ist diese Zerstörung möglich.
Deswegen ist für uns klar, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit gleichzeitig ein Kampf um eine herrschaftsfreie Welt jenseits von kapitalistischen Zwängen ist.
Deswegen soll auch unserer Kampf herrschaftsfrei sein. Wir haben keine Bosse und Anführer und versuchen Hierarchie so weit es geht abzubauen. Wir wollen, dass der Ort, den wir uns erkämpft haben und den wir beschützen wollen, auch Raum bietet für die Emanzipation jedes*r einzelnen.“
Heute, Ende September 2018. Fast alle Baumhäuser wurden mit einem der größten Polizeieinsätze Nordrhein-Westfalens geräumt. Dabei rechnet die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schon jetzt mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe. Über 2000 Polizisten sind am Einsatz beteiligt. Dabei kostet laut GdP alleine eine Hundertschaft mit rund 130 Polizisten pro Tag rund 100 000 Euro. Legitimiert durch „fehlenden Brandschutz der Baumhäuser“ müssen die Besetzer den Wald verlassen und das gesamte Gebiet rund um den Wald wurde als „gefährlicher Ort“ deklariert. So kann die Polizei anlasslose Personen- und Taschenkontrollen durchführen. Durch die Polizei eingerichtete Gefahrenbereiche bei Räumungen der Baumhäuser hindern außerdem die Presse an der Berichterstattung. Nach eigenen Angaben war der Journalist Steffen Meyn deshalb gezwungen die Rodungen von einem Baumhaus aus zu dokumentieren und stürzte am 19. September 2018 tragischerweise ab und erlag den schweren Verletzungen. Nach kaum fünf Tagen gingen schon die Räumungsarbeiten weiter. In den kommenden Tagen wird vermutlich auch das letzte Baumhaus geräumt sein und die Aktivisten werden den Wald verlassen müssen. Ob das konfliktfrei geschieht ist unklar und ob sich RWE an die Zusage hält, erst ab 15. Oktober zu roden auch.
Weitere Infos zum Thema unter:
Autor und Fotograf: Raphael Knipping
Update Oktober 2018: Am Freitag, 5. Oktober, hat das Oberverwaltungsgericht in Münster “[…] entschieden, dass der Energiekonzern RWE vorerst keine weiteren Bäume in dem alten Wald fällen darf. Nach dieser Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster verzögert sich die Rodung des Hambacher Forstes bei Köln um mindestens ein Jahr.” (SZ, Gericht kippt Demonstrations-Verbot am Hambacher Forst – Rodung ausgesetzt, 5.10.18)
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Ein Gedanke zu „Gastbeitrag über den Hambacher Forst“